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Regierungschef Risch: «Der Markt funktioniert nicht immer»

Regierungschef Dr. Daniel Risch im Interview mit Gerhard Hofer von der österreichischen Tageszeitung DIE PRESSE - 15. September 2022

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Daniel Risch ist Regierungschef und Finanzminister von Liechtenstein. Er spricht mit Gerhard Hofer, DIE PRESSE, über eingefrorenes russisches Vermögen, Marktversagen und «furchtbare» Staatseingriffe.

DIE PRESSE: Turbulente Zeiten sind normalerweise gute Zeiten für den Finanzplatz Liechtenstein, weil die Menschen einen sicheren Hafen für ihr Vermögen suchen. Gilt das jetzt auch?

Daniel Risch: Das war in der Vergangenheit so, und das ist auch jetzt so. Wir merken natürlich, dass der Schweizer-Franken-Raum im Moment stabiler ist als andere Währungsräume. Wir hören vom Finanzmarkt, dass die Anfragen da sind.

DIE PRESSE: Den sicheren Hafen suchen auch wohlhabende Russen. Dennoch hat sich Liechtenstein – früher als die Schweiz – den EU-Sanktionen angeschlossen. Warum?

Daniel Risch: Diese Entscheidung fällten wir mitten in der Nacht. Als Russland die Ukraine überfiel, war für uns klar, dass wir nicht an der Seite stehen, sondern die Sanktionen von Beginn an unterstützen. Wir sind somit eines der wenigen Nicht-EU-Länder, die diese Sanktionen mittragen. Wir waren tatsächlich ein bisschen überrascht, dass man das auf der anderen Seite des Rheins anders gesehen hat.

DIE PRESSE: Dass die Schweiz gezögert hat.

Daniel Risch: Für uns war es keine Frage. Und mit «uns» meine ich nicht nur die Regierung, sondern auch die Finanzplatz-Akteure.

DIE PRESSE: Ganz unumstritten ist dieser Gleichschritt mit der EU aber auch in Liechtenstein nicht.

Daniel Risch: Glücklich ist mit der Situation natürlich niemand. Aber die Diskussion im Parlament war verglichen mit anderen Ländern sehr zahm. Die Opposition moniert, ob man das so schnell durchziehen müsse, aber das waren Einzelstimmen.

DIE PRESSE: In vielen EU-Ländern, auch in Österreich, gibt es vermehrt Kritik an den Sanktionen gegen Russland. Diese würden die eigenen Leute härter treffen als Russland, heisst es. Haben Sie Verständnis für diese Kritik?

Daniel Risch: Bei uns ist die Kritik noch nicht gross. Wir haben eine Teuerung von 3.4 Prozent. Auch bei den Energiepreisen gibt es nicht diese Ausschläge. Aber je länger der Krieg und die Sanktionen andauern, umso mehr rückt das Bewusstsein über die schrecklichen Ereignisse in der Ukraine etwas in den Hintergrund. Deshalb werden die kommenden Monate sicher nicht einfacher in der politischen Diskussion.

DIE PRESSE: Liechtenstein hat knapp 260 Millionen Euro eingefroren. Das sei ein Bruchteil des russischen Vermögens, das im Fürstentum veranlagt ist, sagen Experten. Was sagen Sie dazu?

Daniel Risch: Wir haben eingefroren, was auch tatsächlich da ist. Aber das umfasst nicht jene Bereiche, in denen wir etwa anderen Ländern Hinweise über Vermögenswerte gegeben haben. Es gab ja auch Berichte etwa über Jachten, die andernorts sichergestellt wurden. Liechtenstein ist nicht der Ort, an dem Oligarchen Villen oder Jachten haben. Wir sind nicht St. Moritz.

DIE PRESSE: Aber es gibt in Liechtenstein ansässige Firmen, die Jachten und Villen besitzen.

Daniel Risch: Und da gibt es eine internationale Zusammenarbeit.

DIE PRESSE: Als 2014 die Krim von Russland annektiert wurde, war Liechtenstein nicht so begeistert von Sanktionen. Woher dieser Sinneswandel?

Daniel Risch: Was 2014 betrifft, müssen wir in ganz Europa in den Spiegel schauen. Da waren wir alle nicht wahnsinnig schnell und hart. Aus heutiger Sicht war das ein Fehler.

DIE PRESSE: Der Krieg in der Ukraine hat vielen die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas vor Augen geführt. Wie stark ist Liechtenstein davon betroffen?

Daniel Risch: Wir produzieren zwischen 20 und 25 Prozent unserer Energie selbst, alles andere müssen wir importieren. Wir sind ja pro Kopf gemessen Solarenergie-Weltmeister. Aber jeder weiss, Solaranlagen funktionieren im Winter und in der Nacht nicht. Deshalb sind wir von den internationalen Strommärkten abhängig wie andere auch. Was das Gas betrifft, konnten wir im Sommer einen Vertrag abschliessen, dass wir in Österreich Gas einspeichern dürfen.

DIE PRESSE: Braucht ein Land wie Leichenstein auch so etwas wie eine Stormpreisbremse?

Daniel Risch: Wir beobachten diese Entwicklung etwa in Deutschland und Österreich. Im Unterschied zur Coronapandemie sind wir ja nicht alle gleichzeitig betroffen. Nun haben wir zum Glück noch ein paar Wochen mehr Zeit.

DIE PRESSE: Aber es ist nicht auszuschliessen, dass selbst Liechtenstein zu Staatshilfen greift?

Daniel Risch: Das ist leider nicht auszuschliessen. Für mich als früherer Wirtschafts- und nunmehr Finanzminister sind staatliche Eingriffe in den Markt furchtbar. Wir Liechtensteiner sind wirtschaftsliberal, der Markt sollte überall gelten – auch bei den Steuern.

DIE PRESSE: Wenn selbst Liechtenstein über Staatsinterventionen nachdenkt, was sagt das über den Markt aus?

Daniel Risch: Der Markt funktioniert nicht immer. So war es aber auch schon bei der Coronapandemie. Nun ist es der Energiebereich. Diese alten Regeln, etwa die Merit-Order-Regel beim Strom, funktionieren nicht mehr. Es wird also augenscheinlich, dass wir in dieser Situation über die Systeme nachdenken müssen.

DIE PRESSE: Jeder kennt Liechtenstein als Finanzplatz, dabei gibt es in Ihrem Land einige Industriebetriebe, die vermutlich ähnlich unter Liefer- und Personalengpässen leiden, wie die Unternehmen bei uns.

Daniel Risch: Liechtenstein ist eines der höchst industrialisierten Länder der Welt. 46 Prozent unserer Bruttowertschöpfung kommen aus der Industrie. Etwas mehr als 30 Prozent entfallen auf das produzierende Gewerbe und 21 Prozent auf den Finanzplatz. Die unterbrochenen Lieferketten und der Ukraine-Krieg treffen unsere Industrie massiv. Wenn ein Unternehmen wie Hilti das Russland-Geschäft einstellt, dann ist das natürlich ein enormer Einschnitt. Nicht nur der Finanzplatz macht bei den Sanktionen mit, auch die Industrie.

DIE PRESSE: Und die Abhängigkeit von China trifft Liechtenstein auch?

Daniel Risch: Es gibt konkrete Beispiele, etwa Hoval, ein grosser Hersteller von Wärmepumpen. Die Nachfrage nach diesen Produkten geht derzeit durchs Dach, aber es kommen die Teile aus China nicht. Diese Probleme bekomme ich aufgrund der kurzen Wege natürlich hautnah mit.

DIE PRESSE: Wie schaut es mit dem Arbeitskräftemangel aus?

Daniel Risch: Liechtenstein hat 40’000 Einwohner, aber 41’000 Arbeitsplätze. 22’000 Menschen pendeln täglich zu uns in die Arbeit, 9’000 davon sind Österreicher. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass bei uns die Arbeitsbedingungen und vor allem die Löhne sehr attraktiv sind.

DIE PRESSE: Vor allem ist die Steuerlast für Unternehmen und Beschäftigte nicht so hoch wie in Österreich. Statt Steuerwettbewerb fordern Hochsteuerländer wie Deutschland eine globale Mindeststeuer. Was hiesse das für Liechtenstein?

Daniel Risch: Deutschland hat es geschafft, rund 140 Länder hinter sich zu scharen. Bei uns zahlt man zwölf Prozent Unternehmenssteuer. Die Mindeststeuer soll bei 15 Prozent liegen. Wir tragen das mit, wenn es für alle gleich gilt. Es darf dann aber keiner eine Sonderwirtschaftszone einrichten. Derzeit scheren die USA ein wenig aus, Ungarn ebenso. Wenn es für alle gilt, werden wir mitziehen. Nicht freudig, aber dennoch.

DIE PRESSE: Schade, dass es keine globale Höchststeuer gibt.

Daniel Risch: Wir haben dieses Thema einmal sogar spasseshalber eingebracht und gesagt: Vielleicht sollten wir darüber reden, wie viel der Staat überhaupt nehmen darf.

DIE PRESSE: Aktuell steigen aber allerorts die Staatsschulden aufgrund der vielen Staatshilfen.

Daniel Risch: Wir haben ein ganz anderes Problem, das hat sonst kein Land. Wir haben keine Staatsschulden, sondern müssen unsere Überschüsse gut anlegen. Seit Anfang des Jahres hat das veranlagte Vermögen zwölf Prozent an Wert verloren.

DIE PRESSE: Na, solche Probleme hätten andere Finanzminister gern.

Daniel Risch: Ich weiss.

Bild: Die Presse/Clemens Fabry