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«Liechtenstein geht sicher durch die Coronakrise»

Selbst auf dem Höhepunkt der Börsenkrise 2020 hätten Liechtensteins Banken Neugeldzuflüsse verzeichnet, stellt Martin Gächter von der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein fest und erklärt im Interview mit Finews, was den Finanzplatz so stabil macht.

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Martin Gächter, Leiter Finanzstabilität/Makroprudenzielle Aufsicht der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein (FMA) im Interview mit Finews.

finews: Herr Gächter, die liechtensteinischen Banken haben die Corona-Pandemie relativ gut überstanden. Was gab den Ausschlag dafür?

Martin Gächter: Trotz eines erheblichen Rückgangs der verwalteten Kundenvermögen im Zuge der Finanzmarktkorrektur im März und April konnte der liechtensteinische Bankensektor im ersten Halbjahr seine Profitabilität steigern, wobei auch die Kapitalisierung entgegen dem internationalen Trend zunahm.

finews: Worauf ist das zurückzuführen?

Martin Gächter: Das hängt in erster Linie mit dem vorherrschenden Geschäftsmodell zusammen: Während der Finanzmarkt-Turbulenzen nahm die Handelstätigkeit der Kunden zu. Dadurch konnten die Banken höhere Erträge aus Kommissions- und Gebühreneinnahmen erwirtschaften. Zudem leidet der Bankensektor weniger stark unter dem nun noch länger andauernden Niedrigzinsumfeld, weil das klassische Kreditgeschäft nur einen relativ kleinen Teil der Erträge betrifft. Selbst auf dem Höhepunkt der Börsenkrise 2020 verzeichneten Liechtensteins Banken Neugeldzuflüsse. Der liechtensteinische Bankensektor profitiert dabei auch von den weit überdurchschnittlichen Kapital- und Liquiditätsindikatoren: Diese erhöhen die Verlustabsorptions-Fähigkeit in der Krise und unterstützen damit die hohe Reputation des Bankensektors.

finews: Liechtenstein hat gemäss eigener Einschätzung «ein ausgewogenes System zur Gewährleistung der Finanzstabilität». Was muss man sich darunter vorstellen?

Martin Gächter: Angesichts des grossen Finanzsektors und seiner Bedeutung für die Gesamtwirtschaft kommt der makroprudenziellen Aufsicht und Politik in Liechtenstein eine Schlüsselrolle zu. Da Liechtenstein über keine eigene Zentralbank verfügt, fällt das Mandat zur Gewährleistung der Finanzstabilität gesetzlich der Finanzmarktaufsicht (FMA) zu.

Im Bereich der makroprudenziellen Aufsicht und Politik hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Die makroprudenzielle Aufsicht ist deutlich gestärkt worden. Die FMA publiziert einen jährlichen Finanzmarkt-Stabilitätsbericht, der einen Überblick über die identifizierten systemischen Risiken gibt. Im Jahr 2019 wurde zudem ein Ausschuss für Finanzmarktstabilität eingerichtet, deren Mitglieder vom Finanzministerium und von der FMA entsendet werden.

finews: Wozu dient dieser Ausschuss?

Martin Gächter: Er beschäftigte sich bisher unter anderem mit regelmässigen Diskussionen über strukturelle und zyklische systemische Risiken im liechtensteinischen Finanzsektor, mit der Entwicklung einer makroprudenziellen Strategie, der Revision des Kapitalpuffer-Rahmens im Bankensektor, einer vertieften Analyse der systemischen Risiken im Zusammenhang mit der hohen Verschuldung der privaten Haushalte sowie mit der Umsetzung einer Reihe von Empfehlungen des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB).

Wie beabsichtigt, hat die Schaffung dieses Gremiums dazu beigetragen, dass die Identifizierung und Eindämmung systemischer Risiken zunehmend in den Vordergrund rückte. Basierend auf den Finanzstabilitäts-Analysen der FMA und der Diskussion zwischen der FMA und der Regierung kann der Ausschuss makroprudenzielle Massnahmen, Empfehlungen und Warnungen vorschlagen. Seit Mitte 2019 wurden in diesem Kontext bereits sieben Empfehlungen veröffentlicht und entsprechend umgesetzt.

Zudem ist Liechtenstein seit 2017 Mitglied im Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) und arbeitet aktiv in den verschiedenen Gremien der europäischen Makroaufsicht mit. Um die Finanzstabilität nachhaltig sicherzustellen, ist eine differenzierte Kombination von makroprudenziellen Kapitalpuffern sowie Kreditgeber- und Kreditnehmer-basierten Massnahmen in Kraft. Damit wird die systemische Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors verbessert und die Anhäufung systemischer Risiken verhindert.

finews: Welche Risikofaktoren stufen Sie am höchsten respektive am bedrohlichsten ein?

Martin Gächter: Liechtensteins Finanzplatz ist auf der Basis unterschiedlichster Indikatoren derzeit als sehr stabil einzustufen. Trotzdem gibt es einige Risiken, die wir regelmässig beobachten. In Bezug auf die globale Pandemie ist die Unsicherheit derzeit generell sehr hoch. Zwar erwarten wir, dass die negativen Effekte auf den liechtensteinischen Bankensektor deutlich schwächer ausfallen werden als in anderen Ländern, jedoch müssen wir die wichtigsten Indikatoren – zum Beispiel die Höhe an notleidenden Krediten – in den nächsten Monaten aufmerksam beobachten.

finews: Warum?

Martin Gächter: Damit der Finanzsektor eine wichtige unterstützende Rolle in der wirtschaftlichen Erholung spielen kann, muss ein Übergreifen des realwirtschaftlichen Einbruchs auf den Finanzsektor mit allen Mitteln verhindert werden. Aufgrund der hohen Resilienz, die sich auch am Arbeitsmarkt zeigt, erwarten wir aber, dass sich die negativen Auswirkungen in Liechtenstein in Grenzen halten werden. Als Standort für grenzüberschreitende Vermögensverwaltung ist Liechtenstein – wie jeder vergleichbare Finanzplatz – auch einem erhöhten Risiko im Bereich der Geldwäscherei ausgesetzt.

finews: Was unternehmen Sie in dieser Hinsicht?

Martin Gächter: Das Geschäftsmodell des Private Banking und der Vermögensverwaltung baut auf einer erstklassigen Reputation des Finanzplatzes auf, daher ist es im Sinne des gesamten Finanzplatzes, dass Liechtenstein in den vergangenen Jahren im Bereich der Geldwäschereiprävention eine Nulltoleranzpolitik verfolgte. Insgesamt zeichnet sich der liechtensteinische Bankensektor durch ausgezeichnete Kapital- und Liquiditätsindikatoren aus, was für die Stabilität natürlich sehr förderlich ist. Grössere Risiken für die Finanzplatzstabilität sehen wir derzeit also nicht.

finews: Die liechtensteinischen Haushalte verfügen über eine im europaweiten Vergleich überdurchschnittlich hohe Verschuldung. Dadurch sind die Haushalte auf abrupte Zinserhöhungen umso anfälliger. Was wären dabei die Folgen für die Volkswirtschaft?

Martin Gächter: Grundsätzlich kann sich ein Land eine höhere Verschuldung leisten, wenn die Volkswirtschaft und der Finanzsektor gut entwickelt sind. Die niedrige Verschuldung im Unternehmenssektor und im öffentlichen Haushalt, hohe Jobsicherheit und ein hohes Einkommen erlauben es den Haushalten in Liechtenstein, sich nachhaltig höher zu verschulden, ohne dass dies automatisch zu Problemen führt.

Je höher die Haushalte verschuldet sind, umso anfälliger sind sie allerdings auf unerwartete makroökonomische Schocks, zum Beispiel ein Verlust des Arbeitsplatzes oder ein Anstieg der Zinsen. Daten zur Hypothekarvergabe der Banken zeigen, dass die Kreditvergabe in Bezug auf die Beleihungssätze nachhaltig ist, das heisst, der Anteil an Krediten, bei denen die Eigenmittel weniger als 20 Prozent ausmachen, ist sehr gering.

finews: Es fällt jedoch auf, dass die Schulden bei vielen Haushalten relativ zum Einkommen hoch sind.

Martin Gächter: Für diese Haushalte wäre ein abrupter Zinsanstieg tatsächlich ein Problem. Allerdings würde sich ein solcher Zinsanstieg nicht auf alle gleichzeitig auswirken, weil es einen grossen Anteil an Fixzinshypotheken gibt. Zudem sind in Liechtenstein – in Anlehnung an die Schweiz – bereits jetzt bestimmte kreditnehmerbasierte Massnahmen in Kraft, wie ein maximaler Beleihungssatz oder Vorgaben zur Amortisation.

Liechtenstein ist daher bei bestimmten risikomindernden Massnahmen im Immobilien- und Hypothekarsektor weiter als die meisten anderen EWR-Länder. Zudem ist zu berücksichtigen, dass in Liechtenstein ein Rückgang der Immobilienpreise weniger starke volkswirtschaftliche Auswirkungen hätte, weil die Rückkoppelungseffekte auf die Volkswirtschaft – durch den geringen Anteil der Binnennachfrage – viel schwächer ausfallen würden.

Die hohe Verschuldung der privaten Haushalte stellt daher kein akutes Problem dar, mittelfristig müssen wir aber dieses systemische Risiko im Auge behalten.