Der liechtensteinische Finanzplatz und der Zollvertrag mit der Schweiz

Vor 100 Jahren wurde der Zollvertrag zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein abgeschlossen. Er trat am 1. Januar 1924 in Kraft. Gemeinhin verbindet man mit diesem Datum den Beginn des wirtschaftlichen Aufschwungs in Liechtenstein. Ein Sektor, der in diesem Zusammenhang immer genannt wird, ist natürlich jener der Finanzdienstleistungen.

Voraussetzung für eine Gesundung der Wirtschaft schaffen

Zunächst muss betont werden, dass sich der Wohlstand in Liechtenstein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur linear nach oben entwickelte. Ein bescheidener Wohlstand vor dem Ersten Weltkrieg brach an dessen Ende jäh ein. Liechtenstein wurde wirtschaftlich vom Kollaps des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs erfasst. Mit dem Zollvertrag mit der Schweiz, einem Land, das nach dem Krieg vergleichsweise gut dastand, sollte unter anderem die Voraussetzung für eine Gesundung der Wirtschaft geschaffen werden. Allerdings gelang dies nur langsam. Der eigentliche Aufschwung fand denn auch erst nach dem Zweiten Weltkrieg statt.

Die Rechtsordnung neu gestalten

Ein nicht zu unterschätzendes Element der Neuorientierung des Landes nach dem Ersten Weltkrieg war der Plan, auch die Rechtsordnung neu zu gestalten. Ab 1924 galten in Liechtenstein viele Schweizer Gesetze, die im Zusammenhang mit dem Zollvertrag standen. Wilhelm Beck gab den wesentlichen Anstoss dazu, auch das übrige liechtensteinische Recht nach Schweizer Vorbild zu ändern und damit zu liberalisieren. Die Neufassung des liechtensteinischen Rechts ist zwar Stückwerk geblieben, doch wurden gerade für den Finanzdienstleistungssektor hilfreiche Instrumente eingeführt. Bekannte Meilensteine sind das Steuergesetz von 1923 und das Personen- und Gesellschaftsrecht von 1926.

Der Schweizer Franken als Landeswährung

Ein zweites, ebenso wichtiges Element war die Einführung des Schweizer Frankens als Landeswährung. Dies erleichterte zum einen die Anwendung des Zollvertrags, zum andern bestand damit eine stabile Landeswährung, die nicht, wie zuvor die österreichische Kronenwährung, von Wertverlust erfasst wurde.

Bescheidener Aufschwung

Diese Rahmenbedingungen führten dazu, dass bereits vor dem Zweiten Weltkrieg ein bescheidener Aufschwung im Bereich der Finanzdienstleistungen, vorab bei den Gründungen von Sitzgesellschaften, zu verzeichnen war. Allerdings fand die wirtschaftliche Erholung auch in Liechtenstein erst im Zuge des grossen Wirtschaftsaufschwungs in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Verglichen mit anderen Ländern hatte die Schweizer Wirtschaft unter dem Krieg kaum gelitten und war deswegen gut aufgestellt. Liechtenstein brauchte im Windschatten der Schweiz nur zu folgen – was es auch tat.

Drei Banken und der Abschluss des Währungsvertrags

Sowohl Industrie als auch Finanzdienstleistungen erlebten einen ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung. Waren für die liechtensteinische Wirtschaft über lange Zeit eine, dann zwei Banken ausreichend, kam in den 1950er-Jahren eine dritte hinzu. In den 1980er-Jahren folgte der Abschluss des Währungsvertrags, der für den mittlerweile stark gewachsenen liechtensteinischen Finanzdienstleistungssektor eine weitere Stabilisierung bedeutete. Alle diese Entwicklungen wurden durch die Einbettung in den Schweizer Wirtschafts- und Währungsraum stark begünstigt, wenn nicht sogar erst ermöglicht.

Der indirekte Einfluss des Zollvertrags

Inwiefern hat der Zollvertrag nun die Entwicklung und den Aufschwung des liechtensteinischen Finanzplatzes beeinflusst? Finanzdienstleistungen als solche werden vom Zollvertrag nicht geregelt. Aber indirekt ist die beschriebene Entwicklung ohne den Zollvertrag kaum vorstellbar, hat er doch erst das wirtschaftliche Umfeld geschaffen, in welchem ein derartiges Aufblühen des Finanzplatzes Liechtenstein überhaupt möglich wurde.

Dr. iur. Georges Baur, Forschungsbeauftragter am Liechtenstein-Institut, Fachbereichsvorstand Recht

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