Dr. Martin Gächter im Gespräch mit Jakob Zirm, Ressortleiter Wirtschaft, DiePresse
Dr. Martin Gächter ist Leiter Finanzstabilität bei der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein.
DiePresse: Liechtenstein ist Mitglied des EWR, gleichzeitig aber auch in einer Zollunion mit der Schweiz. Vor allem die EU ist derzeit von einer Wachstumsschwäche betroffen. Wie stellt sich die Lage für so ein kleines Land wie Liechtenstein dar?
Dr. Martin Gächter: Europa leidet in den letzten Jahren unter einer Wachstumsschwäche – das ist eindeutig. Allerdings muss man hier zwischen kurzfristigen konjunkturellen Entwicklungen und dem längerfristigen Wachstumspotenzial unterscheiden. Das grössere Problem dabei ist, dass die Schwäche im Produktivitätswachstum in Europa grundsätzlich stärker ausgeprägt ist als in den USA. Ein Grund dafür ist ein stärkerer Rückgang von Investitionen – etwa aufgrund ungünstiger Standortbedingungen. Hinzu kam nun eine ganze Reihe an Schocks, die von den Ländern unterschiedlich gut verdaut wurden. Während etwa in Österreich das Problem der hohen Inflation nach wie vor vorherrscht, kämpfen wir in der Schweiz und in Liechtenstein eher schon wieder gegen zu niedrige Inflation. Das wohl grösste Thema derzeit ist die allgemeine Abkehr vom regelbasierten Freihandel, der über Jahrzehnte die globale Wirtschaft dominiert hat.
DiePresse: Für Unruhe sorgt heuer US-Präsident Donald Trump mit seiner Zollpolitik. Die Schweiz wurde mit einem relativ hohen Zoll von 39 Prozent belegt. Als Grund nennt Trump, dass der Schweizer Franken künstlich schwächer gehalten werde. Liechtenstein hat den niedrigeren EU-Zoll, gleichzeitig aber den Schweizer Franken. Das Beste aus beiden Welten?
Dr. Martin Gächter: Für Liechtenstein und die Schweiz ist es eine völlig neue Situation, denn wir haben ja eine Zollunion. Auf der Einfuhrseite könnte Liechtenstein also gar nicht andere Zölle als die Schweiz einheben. Auf den ersten Blick steht Liechtenstein nun besser da. Aber man darf nicht vergessen, dass die Industrie im Fürstentum über 40 Prozent des BIP ausmacht und die Liechtensteiner Unternehmen massiv durch sektorspezifische Zölle wie beispielsweise auf Aluminium betroffen sind. Ausserdem arbeiten viele Liechtensteiner Firmen als Zulieferer für Schweizer Unternehmen. Und es steigt auch die Unsicherheit. Denn bisher gab es aus der Zollunion nur den Absender Schweizer Zollunion. Bei der Einfuhr in den USA muss nun jedoch unterschieden werden, ob die Herkunft die Schweiz oder Liechtenstein ist.
DiePresse: Die Frage, die sich stellte, war, ob die Schweiz nun stärker an die EU heranrücken wird. Wie ist da die Erwartungshaltung in Liechtenstein?
Dr. Martin Gächter: In der Schweiz ist das nach wie vor eine grosse Debatte. Klar ist, dass in einer zunehmend fragmentierten Welt es immer schwieriger wird, als kleiner Akteur zu agieren. Ich nehme also an, dass es schlussendlich in der Schweiz wie üblich zu einem Referendum kommen wird, bei dem der Ausgang völlig offen ist. Für Liechtenstein ebenso relevant ist die Diskussion in Island, ob das Land der EU beitreten solle. Wenn dies geschieht, besteht der EWR, der sich für Liechtenstein als sehr vorteilhaft herausgestellt hat, nur mehr aus dem Fürstentum und Norwegen. Es ist daher die Frage, ob dieses Konstrukt dann noch länger Bestand haben kann. Auf der anderen Seite wäre ein EU-Beitritt für ein Land wie Liechtenstein vielleicht eine Schuhnummer zu gross – aus ganz praktischen Gründen. Wir haben eine sehr kleine Verwaltung.
DiePresse: Die Behörden wären also rein quantitativ von der Menge der Rechtsakte überfordert?
Dr. Martin Gächter: Alle relevanten Rechtsakte werden aufgrund der EWR-Mitgliedschaft auch schon jetzt übernommen, das ist gar nicht das Hauptthema. Aber die Einbindung Liechtensteins in die politischen Entscheidungsprozesse auf EU-Ebene wäre eine echte Herausforderung für die sehr schlanke Verwaltung. Insgesamt hört man aber tatsächlich von vielen Unternehmen – sowohl in der Real- als auch Finanzwirtschaft – dass sie zunehmend mit der immer komplexeren Regulierung zu kämpfen haben. Obwohl jede Einzelmassnahme in der Regulierung gut gemeint ist, kann der Umfang der Regulierung für Unternehmen zu einem Problem werden und schlussendlich auch die Innovationskraft hemmen.
DiePresse: Regulierung ist vor allem beim Finanzmarkt ein grosses Thema, für den Sie ja in Liechtenstein auch zuständig sind. Vor rund 15 Jahren hatte Liechtenstein ein großes Problem mit Schwarzgeld. Seither ist viel geschehen, ist das Thema endgültig Geschichte?
Dr. Martin Gächter: Ja. Wenn man sich die vergangenen 20 Jahre anschaut, sieht man, dass hier ein entschiedener Kurswechsel vorgenommen wurde. Liechtenstein war ein Early Adopter des automatischen Datenaustauschs bei Steuerthemen. Heutzutage werden die Daten mit über 100 Ländern vollkommen automatisch ausgetauscht. Und auch bei internationalen Prüfungen zum Thema Informationsaustausch oder Geldwäscheprävention schnitt Liechtenstein zuletzt sowohl bei OECD als auch FATF ausgezeichnet ab. Schwieriger für uns ist, das Bild in der breiten Bevölkerung zu ändern. Denn hier kommen immer wieder Sichtweisen bezüglich einer Situation auf, die schon lange vorbei ist.
DiePresse: Was ist heute dann eigentlich das Geschäftsmodell des Finanzplatzes Liechtenstein? Welche Vorteile bietet man internationalen Investoren?
Dr. Martin Gächter: Der klassische Vorteil, den internationale Investoren in Liechtenstein haben, ist die politische Stabilität, die Rechtssicherheit und das Bekenntnis zu einer liberalen Wirtschaftsordnung. Und wenn man sich die Debatten im Landtag, also dem liechtensteinischen Parlament anhört, dann sieht man auch, dass es in diesen Fragen Konsens über alle Parteien hinweg gibt. Im Vergleich mit Österreich gehen die Meinungen in der Wirtschaftspolitik also nicht so weit auseinander. Ausserdem hat man sehr darauf geachtet, dass es zugängliche Behörden gibt. Das ist einer der Vorteile eines kleinen Landes. Es ist also leichter möglich, bei der Behörde anzurufen und zu fragen: Wie ist das gemeint? Wenn etwa eine Vorschrift nicht ganz verständlich ist.
DiePresse: Stichwort politische Stabilität: In Österreich gibt es immer wieder eine Diskussion über Vermögenssteuern. Ist das ein Treiber für Gelder, die nach Liechtenstein kommen?
Dr. Martin Gächter: Das ist zumindest an den Zahlen, die mir vorliegen, nicht zu sehen. Und zum Thema Vermögenssteuer ist es auch wichtig, das liechtensteinische Steuersystem zu kennen. Hier wird das Erwerbseinkommen wie in den meisten Ländern üblich versteuert. Hinzu kommt aber noch eine Vermögenskomponente. Es werden jedes Jahr vier Prozent des Nettovermögens zum Einkommen hinzugerechnet und besteuert. Dafür sind dann sämtliche realen Vermögenserträge steuerfrei, weil sie über die Pauschale abgegolten sind.
DiePresse: Das heisst auch, wenn man mehr als vier Prozent Rendite mit seinem Vermögen erzielt, senkt man seine relative Steuerlast.
Dr. Martin Gächter: Ja. Das führt einerseits dazu, dass es eine bessere Verteilung in der Besteuerung zwischen den Faktoren Arbeit und Vermögen gibt. Und andererseits dazu, dass die Menschen natürlich auch bestrebt sind, mehr als diese vier Prozent Rendite zu erzielen. Also Immobilien eher zu vermieten, als sie leer stehen zu lassen. Oder eher auf langfristige Aktieninvestments zu setzen, als auf niedrig verzinste Sparbücher.
Interview: Jakob Zirm, DiePresse mit Dr. Martin Gächter, Leiter Finanzstabilität bei der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein