«Wir prüfen streng und greifen durch»

«Wir prüfen streng und greifen durch»

Liechtensteins Regierungschef Daniel Risch im Interview mit Uwe Ritzer von der Süddeutschen Zeitung.

Während seines Studiums lebte Daniel Risch, 43, einige Zeit in München. Dort taten sich die Behörden schwer mit seiner Herkunft: Statt «Liechtenstein» tauchte in amtlichen Papieren fälschlicherweise «Luxemburg» als Nationalität auf. Eine Verwechslung, die Liechtensteinern öfter passiert. 2015 kehrte der Wirtschaftsinformatiker und Betriebswirt Risch nach Liechtenstein zurück. Nach vier Jahren als stellvertretender Regierungschef ist der Politiker der konservativen Vaterländischen Union (VU) seit 25. März 2021 Regierungschef des winzigen Landes, das die Welt vor allem als Finanzplatz kennt. Zum ersten Interview empfängt der Frühaufsteher bereits um 7.45 Uhr im Regierungsgebäude von Vaduz.

SZ: Herr Risch, Ihre Antrittsbesuche als Regierungschef führten Sie nach Wien und Bern. Warum nicht nach Berlin?

Daniel Risch: Natürlich wäre ich am liebsten auch gleich nach Berlin gereist, aber in Deutschland war Wahlkampf. Unsere Beziehungen sind jedoch sehr gut und der Antrittsbesuch wird sicher nachgeholt. Ich hatte bereits als Regierungschef-Stellvertreter und Minister für Infrastruktur, Wirtschaft und Sport in den vergangenen vier Jahren stets einen guten Austausch mit meinen deutschen Amtskollegen.

Nach dem Steuerskandal um Ex-Postchef Klaus Zumwinkel 2008 waren die Beziehungen beider Länder auf dem Tiefpunkt, und Liechtenstein stand als Steueroase am internationalen Pranger.

Und heute?

Stehen wir sehr viel besser da als damals. Wir haben seither tiefgreifende Reformen durchgezogen und kooperieren in Steuerfragen international. Wenn beispielsweise ein deutscher Kunde Geld bei uns anlegt, wird sein Finanzamt jedes Jahr automatisch über seine Vermögenssituation in Liechtenstein informiert. Das hat sich bewährt und funktioniert gut. Wir prüfen streng und greifen durch, wenn etwas Fragwürdiges geschieht – nicht nur im Bereich Steuern. In der deutschen Maskenaffäre waren es auch Informationen aus Liechtenstein, die zu koordinierten Verfahren in beiden Ländern führten. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass wir unsere Rolle als international vernetzter Finanzplatz auch in der Verbrechensbekämpfung verstehen und wahrnehmen.

Immer wieder fallen Liechtensteiner Treuhänder auf, die ihren Kunden zwielichtige Konstrukte in Offshore-Steuerparadiesen anbieten. Einige mussten sich sogar vor Gericht verantworten. Sind die Treuhänder Liechtensteins größtes Problem?

In allen Bereichen des Finanzplatzes gibt es immer wieder Verdachtsfälle und auch Urteile. Das beruhigt mich allerdings eher, als es mich verunsichert. Das mag Sie überraschen, aber jeder Fall zeigt auch, dass wir keine Toleranz kennen und Verdachtsfälle konsequent abarbeiten. Wenn nie etwas hochkäme, wäre das unglaubwürdig. Denn nicht nur für Liechtenstein gilt: Kein Finanzplatz kann hundertprozentig sauber sein.

Zucken Sie vor Schreck zusammen, wenn Leaks wie die Panama- oder Pandora-Papers an die Öffentlichkeit gelangen? Aus Furcht, die nächste Welle könnte auf Liechtenstein zurollen?

Vor ein paar Jahren hätte ich vielleicht gezuckt, heute nicht mehr. Der Informationsaustausch im Steuerbereich funktioniert, wir haben eine Finanzmarktaufsicht und eine Financial Intelligence Unit, die Verdachtsfällen konsequent nachgehen, sowie Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung bekämpfen. Da sind Profis am Werk, die top ausgebildet und international bestens vernetzt sind. Sie decken Fälle auf und verfolgen sie häufig, bevor sie durch Leaks und die Presse bekannt werden. Ganz durch ist man mit solchen Problemen aber nie. Straftäter werden immer raffinierter, und wir müssen international gegen sie vorgehen. Bei alledem fährt Liechtenstein nicht mehr auf den hintersten Wagen mit, sondern sitzt weit vorne.

Ist Liechtenstein noch eine Steueroase?

Das kommt auf die Perspektive an. Im Sinne von Schwarzgeldversteck und Geldwäsche ganz sicher nicht mehr. Aber dass wir niedrige Steuern und manche Steuern gar nicht haben, die in anderen Ländern erhoben werden, stimmt natürlich. Auch das trägt zum Erfolg unseres Wirtschaftsstandorts bei, der von außen oft ausschließlich als Finanzplatz gesehen wird. Dabei erwirtschaftet der Finanzsektor zwar 23 Prozent unserer Bruttowertschöpfung, die Industrie aber satte 43 Prozent. Damit ist Liechtenstein eines der höchst industrialisierten Länder der Welt.

Bleiben Sie das auch, wenn 2023 eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent für Konzerne mit mehr als 750 Millionen Euro Umsatz eingeführt wird?

Wir sind zufrieden, dass man sich nicht auf einen noch höheren Steuersatz geeinigt hat. Wir erheben aktuell 12,5 Prozent. Unsere wenigen betroffenen Unternehmen haben die internationale Diskussion verfolgt und stellen sich auf Veränderungen ein. Entscheidend wird sein, dass sich alle Länder auch daran halten. Es kann nicht sein, dass große Staaten mit Sonderwirtschaftszonen die Regeln unterlaufen. Was uns nicht so gut gefallen hat, ist die Art und Weise, wie diese Mindeststeuer eingeführt wurde.

Was hat Ihnen da nicht gefallen?

Wie die G 7 und die G 20 ihren politischen Willen durchgepeitscht haben und dass viele Details erst im Nachhinein ausgearbeitet werden. Auch die kurze Umsetzungsfrist halten wir für problematisch. Ich glaube nicht, dass die Umsetzung bis 2023 überall gelingen wird.

Sie setzen die Vorgaben also pragmatisch, aber nicht aus Überzeugung um?

Wir Liechtensteiner haben eine äußerst wirtschaftsliberale DNA. Unternehmertum und Wettbewerb werden bei uns ganz großgeschrieben. Auf acht Einwohner kommt bei uns ein aktives Unternehmen, in Deutschland ist das Verhältnis 23 zu eins. Dass sich Leistung und Einsatz lohnen, ist für uns ein sehr wichtiges Prinzip. Wenn nun von jeder unternehmerischen Tätigkeit weltweit 15 Prozent dem Staat gehören sollen, schmerzt mich das fast körperlich. Unternehmertum heißt Wettbewerb, und diese Lösung ist vom Grundsatz her das Gegenteil. Wir werden diese globale Vorgabe natürlich umsetzen, aber richtig finden wir sie nicht.

Fürchten Sie Nachteile für Liechtensteiner Firmen oder gar die Abwanderung von Unternehmen?

Nein. Wir haben hier sehr viele erfolgreiche und alteingesessene Firmen. Denken Sie an Hilti, Thyssenkrupp Presta, Hoval oder Ivoclar Vivadent; aber auch zahlreiche Mittelständler. Die sind hier nicht nur wegen niedriger Steuern, sondern weil sie und ihre Inhaberfamilien zu diesem Land gehören, sich identifizieren und auch andere Standortvorteile schätzen. Wir werden ein attraktiver und diversifizierter Wirtschaftsstandort bleiben.

Haben Sie mit dem künftigen Bundeskanzler Olaf Scholz schon darüber gesprochen?

Ich persönlich noch nicht. Aber als Finanzminister kennt er natürlich unsere Position. Ich zolle ihm und der Regierung in Berlin großen Respekt dafür, dass sie einen ganz maßgeblichen Beitrag geleistet haben, in Sachen globale Mindeststeuer 140 Staaten unter ein Dach zu bringen. Diese Leistung ist anzuerkennen, auch wenn mein marktliberales Herz blutet, weil damit Wettbewerb ausgeschaltet wird. Aber immerhin ist ein globaler Kompromiss besser als der weitere Aufbau einzelstaatlicher Hürden.

Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung, und gibt es eine Partei, der Sie sich am nächsten fühlen?

Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit. Und ich bin sehr froh, dass wir die Beziehungen nach Deutschland wieder so gut hinbekommen haben, dass ich sogar zum SZ-Wirtschaftsgipfel eingeladen werde (lacht). Für uns ist Deutschland ja so etwas wie der größte Bruder in unserem Sprachraum. Es wird Sie nicht wundern, dass wir uns von den vermutlichen Regierungsparteien der FDP am nächsten fühlen. Aber Liechtenstein ist auch im Bereich der sozialen Sicherheit und beim Thema Nachhaltigkeit ein verlässlicher Partner.

Könnte der Beitritt zur EU für Liechtenstein ein Thema werden?

Nein, das ist für uns wirklich kein Thema. Zumal dann nicht, solange der Europäische Wirtschaftsraum (EWR) funktioniert. Er garantiert uns den Zugang zu den europäischen und internationalen Märkten. Wir sind da in bester Gesellschaft mit Norwegen und Island. Andererseits sind wir sehr eng mit der Schweiz verbunden; 2023 besteht unsere Zoll- und Währungsunion seit 100 Jahren. Wir haben also Zugang zu zwei für uns sehr wichtigen Märkten. Dieser Spagat ist für uns das optimale Modell.

Hindert Sie an einem Beitritt auch die Angst, als winziger EU-Staat fremdbestimmt zu werden?

Das ist eine hypothetische Frage. Wir übernehmen schon jetzt viele Rechtsvorschriften aus Brüssel und setzen sie um. Was nicht immer einfach ist bei einer Administration mit gerade mal 900 Leuten. Manchmal kommt es vor, dass die EU für eine bestimmte Tätigkeit in einem Land einen Ansprechpartner vorschreibt. Und wir sagen dann: Der wäre bei uns gar nicht ausgelastet, weil wir so klein sind.

Die Schweiz hat die Verhandlungen mit der EU über ein neues Rahmenabkommen, das die Zusammenarbeit regeln sollte, für gescheitert erklärt. Die Zeichen stehen auf Konfrontation. Auf welcher Seite stehen Sie?

Liechtenstein ist ein souveränes Land und vertritt seine eigenen Interessen. Das hat für uns oberste Priorität, ebenso wie freie Marktzugänge. Aber ja, dieser Konflikt besorgt uns. Natürlich gibt es hin und wieder auch zwischen der Schweiz und uns Reibungspunkte, aber wir arbeiten sehr gut mit Bern und den Kantonen zusammen. Wir analysieren laufend, was der Konflikt zwischen der Schweiz und der EU für uns bedeutet. Etwa im Energiemarkt, in Zusammenhang mit der Börse in Zürich, an der unser Finanzplatz hängt, oder bei ganz alltäglichen Dingen wie etwa beim Führerscheinwesen. Wir haben ein großes Interesse an guten Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz. Aber vielleicht müssen wir uns im einen oder anderen Bereich in Zukunft auch stärker nach Deutschland oder Österreich orientieren.

Könnten Sie nicht als Vermittler auftreten?

Ich würde unsere Position als sehr kleines Land nicht zu hoch ansiedeln. Wahrscheinlich ist es für die Schweiz wichtiger, in Deutschland und Österreich Partner zu haben, die auf EU-Ebene die Stimme für die Schweiz erheben.

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