Wirtschaftsprüfung am Scheideweg der Digitalisierung

Umbruchprozesse, getrieben durch die Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche, beschäftigen auch die Branche der Wirtschaftsprüfer*innen in Liechtenstein ebenso wie in Österreich. Der Umbruch ist tiefgreifend, wie dies in Fachpublikationen oft zu lesen ist: «Die Wirtschaftsprüfer werden ihre Prüfungsansätze überdenken müssen, wenn nicht gar ihr gesamtes Berufsbild». Es steht nicht nur die technologiegetriebene Ära von audit 4.0 an, sondern Änderungen des Altbekannten, um weiterhin den volkswirtschaftlichen Auftrag der Wirtschaftsprüfung nachhaltig im Sinne aller Anspruchsgruppen wahrnehmen zu können.

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Anpassungsdruck:

Neue Technologien bedeuten ein verändertes handwerkliches Grundrüstzeug für die Prüfer. Fähigkeiten in der Datenanalyse und der Umgang mit sehr grossen Datenmengen und Algorithmen, die menschliche Entscheidungen ersetzen und sekundenschnell tausende von wirtschaftlichen Transaktionen abzuwickeln im Stande sind, prägen die Welt der Wirtschaftsprüfung. Das Entdecken von Mustern in komplexen Systemen und das Ableiten von vertieften Prüfungshandlungen löst viele der klassischen Prüfroutinen ab. Auguren zufolge kann Wirtschaftsprüfung mit Fortschreiten der Blockchain-Technologie in naher Zukunft sogar zu grossen Teilen automatisiert werden.

Erwartungsdruck:

Die Wirtschaftsprüfung war schon immer ein zentraler Kontrollmechanismus der Wirtschaft im Sinne von Gläubiger- und Aktionärsschutz. Die Erwartungslücke als bedeutende Abweichung zwischen dem, was Wirtschaftsprüfung für Wirtschaft und Gesellschaft zu leisten im Stande ist und dem, was sich die verschiedenen Anspruchsgruppen davon erwarten, klafft seit jeher auseinander. Die fortschreitende Digitalisierung kann einen Beitrag zur nachhaltigen Verkleinerung der Erwartungslücke beitragen, da dem Prüfer eine viel breitere digitale Datenbasis zu einer systematischen und informatikgestützten Auswertung – auch unter Beihilfe von künstlicher Intelligenz – vorliegt.

Kostendruck & Personalbedarf:

Höhere Haftungsrisiken, mehr Überwachungsprozesse und Compliance Monitoring erhöhen die Kosten für die herkömmliche Prüfungsarbeit massiv. Auch die Systeme, welche die Auswertung der digitalen Datenbasis erst ermöglichen und die Fachkräfte, welche diese Systeme bedienen können, gleichen gewonnene Effizienz- und Kostenvorteile der digitalen Datenauswertungen oft wieder aus. Gleichzeitig herrscht in der Wirtschaftsprüfung seit jeher ein Kampf um qualifizierte Mitarbeiter, was sich durch die Digitalisierung um ein weiteres Kapitel ausgedehnt hat.

Regularisierungsdruck:

Von internationalen Institutionen, Regelungen der EU bis hin zu nationalen Behörden wie der FMA, zieht sich die steigende Anzahl von neuen und zusätzlichen Vorschriften wie ein roter Faden durch den Alltag der Marktteilnehmer und damit auch durch den des Wirtschaftsprüfers. Die Halbwertszeit des Wissens wird immer kürzer resp. die Geschwindigkeit von neuen Regulierungen immer höher, womit die Anforderungen an die laufende Aus- und Weiterbildung und an die Spezialisierung einzelner Mitarbeiter sich ebenfalls grundlegend verändert.

Die Wirtschaftsprüfer haben sich diesen Druckkräften zu stellen und erfinden sich zum Wohle von Wirtschaft und Gesellschaft laufend neu. Die Wirtschaftsprüfung soll sich weiterhin als wichtige Kontrollinstitution einer modernen Volkswirtschaft etablieren und zur Sicherheit des Wirtschaftssystems auch im Umfeld der laufenden Digitalisierung nachhaltig ihren Beitrag leisten.

Thomas Rüegsegger, Geschäftsführer Liechtensteinische Wirtschaftsprüfer-Vereinigung (WPV)